Jane

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Es war ein schwarzer Tag für mich, damals, ein Tag, von dem ich dachte, er wäre der Anfang vom Ende. Tom, mein Bruder, hatte Jane und mich zum Essen eingeladen. Er war gerade wieder einmal in die Stadt gezogen. So war das mit New York, wenn du einmal hier gelebt hast, dann lässt sie dich nie wieder los. Das Verhältnis, das einen Menschen an diese Stadt kettet, ist magisch. Manchmal glaube ich, dass es greifbar ist. Doch wenn ich versuche, es festzuhalten, dann schwebt dieser Hauch von Unnahbarkeit durch meine Finger. Was zurück bleibt ist ein Gefühl der Leere und Hilflosigkeit.


So fühlte ich mich auch an jenem Abend. Ein schwüler Märztag, an dem das erste Frühlingsgewitter die Luft schwermachte. Beinahe war es unerträglich und ich wünschte mir sehr, dass das Gewitter einsetzen und dieses entsetzlich erdrückende Gefühl hinfort spülen möchte.


Als wir in Toms neuer Wohnung eintrafen, musste ich feststellen, dass er eine ganze Dinner Party organisiert hatte. Nach über zwei Jahren, in denen wir nur sporadisch Kontakt gehabt hatten, hatte ich mir unser Wiedersehen anders vorgestellt. Intimer irgendwie. Ich glaube, ich hatte mir sogar Zeit zum Reden erhofft, auch wenn das keine unserer gemeinsamen Stärken war.


Stattdessen also eine Unzahl von Freunden und Bekannten. Die meisten Menschen tummelten sich auf der großzügigen Dachterrasse. Die Damen fächelten sich Luft zu, die Herren rauchten. Ein seltsam altmodisches Bild, wie aus einem Roman der 1940er Jahre. Enganliegende und fließend weiche Stoffe verströmten die verschiedensten Blütendüfte. Rote Münder und schwarz umrandete Augen in allen Farben reckten die zarten weißen Hälse in die Höhe. Perlenketten klimperten. Dazwischen schwarze Smokings. Im Hintergrund leise Klaviermusik. Champagner und Brandy. Eine ekelhaft dekadente Atmosphäre, aufgeladen, aufgepeitscht. Sexgeruch lag in der Luft. Sie knisterte.


Jane und ich bahnten uns einen Weg durch die Menge. Wir fanden Tom, der umringt von mehreren hübschen Ladies eine Geschichte erzählte. Natürlich war er der Held. Unterwegs in einem schurkischen Land, auf der Suche nach einem Schatz. Gefahren, die eines Helden würdig waren und vom Giftpfeil bis zur Machete alles enthielten. Dann der triumphale Gewinn des Schatzes, Befreiung der in Not geratenen Konkurrentin. Die Liebesnacht im Grandhotel ließ er unerzählt.


Die Wirkung war beachtlich. Sinnlich leicht geöffnete Münder, tiefe Atemzüge, das Pulsieren der Körper. Selbst Jane, die doch kaum etwas von der Erzählung gehört hatte, fiel ein in diesen Rhythmus. Ich hätte es ihr eigentlich nicht zugetraut. Jane.


Jane war meine Frau. Sie ist ein bezauberndes Geschöpf. Groß und schlank, mit rötlichen Locken und einem leicht bräunlichen Teint. Die grünen Augen blicken wach und aufmerksam. Sie ist einfühlsam und doch neugierig. Sie kann unheimlich viel Triviales aus dem Ärmel schütteln, passend zu jeder Gelegenheit. Und doch ist ihr Verstand scharf. Heute sehe ich all diese wunderbaren Eigenschaften wieder. An jenem Abend jedoch nahm ich Jane kaum wahr. Sie war einfach nur meine Frau.


Ich könnte nicht einmal sagen, wie es dazu gekommen war. Wir waren noch sehr jung als wir heirateten. Kaum fertig mit dem College. Dort hatte ich sie auch kennen gelernt. Sie war Kunststudentin, aber eigentlich wollte sie Lehrerin werden. Sie verbrachte viel Zeit in der Bibliothek. Sie liebte Bücher und Geschichten, las so ziemlich alles, was ihr unter die Finger kam. Außerdem ließ sie keines der Campuskonzerte aus. Ich hatte sie dort schon öfter gesehen, mich aber nie getraut, sie anzusprechen. Dann, an einem Abend, als ich selbst mit meiner Band auftrat, da kam sie ganz nach vorne an den Bühnenrand und lächelte mich an.


Bis zu jenem Augenblick hatte ich schon viele Konzerte gespielt und schon viele Mädchen hatten mich angelächelt, mir zugezwinkert, mich im Backstagebereich besucht. Ich war wirklich kein Kind von Traurigkeit. Aber als Jane mich anlächelte, da starb ich tausend Tode. Ich hatte Mühe, meine Hände ruhig auf den Gitarrenseiten zu platzieren und die Töne meiner Lieder zu treffen. Hätte ich diese Konzentration nicht zur Ablenkung gehabt, so wäre das Konzert bestimmt ein Desaster geworden. So merkten nicht einmal meine Kumpels, dass irgendetwas anders war, als sonst.


Danach ging alles ganz schnell. Hochzeit. Eigene Wohnung. Zwei Kinder. Alltag. Zu diesem Alltag gehörte auch, dass ich oft weg war. Meine Collegeband hatte sich zwar schon lange aufgelöst, aber ich machte solo weiter. Zuerst waren es nur Kneipentouren in New York. Dann kam langsam der Erfolg und ich wurde landesweit gebucht, später auch mehr und mehr international. Ein stressiges Leben in Hotelzimmern mit einer Menge Whiskey und schönen Frauen. Nach Hause kommen war da wie eine Oase zu besuchen. Ruhe, Entspannung. Dachte ich. Aber da waren ja die Kinder. Wenn Daddy da war, dann wollten sie ihn natürlich auch einmal ganz für sich haben. Im Garten spielen, Kinobesuche, Zoo. Noch mehr Stress. Keine Pause.


Und Jane? Keine Zeit. Ich hatte keine Zeit. Für meine Frau. Sie bemühte sich trotzdem um ein Lächeln für mich. Jedes Mal. Auch ohne Zärtlichkeiten. Ohne Wärme von mir. Sie bekam nur den Frust, die Schmerzen, das Leid. Und ich schaffte alles zu ihr. Sie war doch mein Fels, mein Anker, mein Hafen.


Später, als die Kinder groß waren und ihre einzigen Forderungen Geld und Freiheit waren, da hat sich Jane als Lehrerin beworben. Ich war so froh, dass sie diesen Ausgleich hatte. Wenn ich zu Hause war, hatte ich nun Ruhe. Ich gab weniger Konzerte. Wir gingen abends wieder aus. Wir hatten ein wundervolles Leben. Oder nicht?


Eines Nachts als Jane nach einem späten Restaurantbesuch an ihrem Schminktisch saß und sich die Haare kämmte, da viel mir dieser Blick in ihren Augen auf. Die ganze Zeit hatte ich ihn schon wahrgenommen. Nur eben nicht bewusst. Eine eingegrabene Traurigkeit, die ich mir nicht erklären konnte. Oder wollte.


Und dann Toms Dinner Party. Es passte einfach. Alles passte einfach zusammen. Trotzdem war ich rasend vor Wut. Eifersucht. Nie in meinem Leben hatten sich diese Gefühle so stark in mir geregt. Die Hilflosigkeit, die mich übermannte, als Jane an Toms Lippen hing, seinen Worten lauschte und seinem Charme erlag. Nach all der Zeit, verlor ich sie. Musst mit ansehen, wie sie sich von mir entfernte. Und ich zerbrach. Ich tröstete mich natürlich. Es war ja nicht schwer. Ich war berühmt.


Nach ein paar Monaten war alles vorbei. Jane kam eines Tages nach Hause und Erleichterung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie hielt ein kleines Briefkuvert in der Hand. Es enthielt eine Haarlocke von Tom. Die Erinnerung an eine glückliche Zeit. Der traurige Ausdruck in ihren Augen war verschwunden und Jane war wieder Jane. Aufgeblüht, strahlend, voller Lebensfreude.


Aber nicht mehr meine Frau. Meine Freundin, ja. Mein Fels in der Brandung, noch immer. Mein Anker und mein Hafen. Es gab auch wieder Wärme zwischen uns und Zärtlichkeit. Doch Jane war jetzt frei. Frei zu geben, frei zu nehmen. Und ich war – irgendwie dankbar.


   

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